1、Jostein GaarderSofies WeltRoman ber die Geschichte der Philosophie Aus dem Norwegischen vonGabriele HaefsCarl Hanser VerlagDieses Buch htte niemals ohne Siri Dannevigs Aufmunterung entstehen knnen. Ich danke auch Maiken Ims, die das Manuskript gelesen und wertvolle Kommentare geliefert hat. Nicht zu
2、letzt gilt mein Dank Trond Berg Eriksen fr viele Jahre voller launiger Bemerkungen und solider fachlicher Untersttzung. Die bersetzung wurde von NORLA gefrdert. Die Originalausgabe erschien 1991 unter dem Titel Sofies verden bei H. Aschehoug dann brauchte sie auch keine Antwort auf die Frage zu find
3、en, woher er gekommen war. Aber konnte etwas denn ewig sein? Irgend etwas in ihr protestierte dagegen. Alles, was existiert, mu doch einen Anfang haben. Also mute irgendwann der Weltraum aus etwas anderem entstanden sein. Aber wenn der Weltraum pltzlich aus etwas anderem entstanden war, dann mute di
4、eses andere ebenfalls irgendwann aus etwas anderem entstanden sein. Sofie begriff, da sie das Problem nur vor sich hergeschoben hatte. Schlielich und endlich mute irgendwann irgend etwas aus null und nichts entstanden sein. Aber war das mglich? War diese Vorstellung nicht ebenso unmglich wie die, da
5、 es die Welt immer schon gegeben hatte? Im Religionsunterricht lernten sie, da Gott die Welt erschaffen hatte, und Sofie versuchte jetzt, sich damit zufriedenzugeben, da das trotz allem die beste Lsung fr dieses Problem war. Aber dann fing sie wieder an zu denken. Sie konnte gern hinnehmen, da Gott
6、den Weltraum erschaffen hatte, aber was war mit Gott selber? Hatte er sich selbst aus null und nichts erschaffen? Wieder protestierte etwas in ihr. Obwohl Gott sicher alles mgliche erschaffen konnte, konnte er sich ja wohl kaum selber schaffen, ehe er ein Selbst hatte, mit dem er erschaffen konnte.
7、Und dann gab es nur noch eine Mglichkeit: Gott gab es schon immer. Aber diese Mglichkeit hatte sie doch schon verworfen. Alles, was existierte, mute einen Anfang haben. Verflixt! Wieder ffnete sie beide Briefumschlge. Wer bist Du? Woher kommt die Welt? Was fr gemeine Fragen! Und woher kamen die beid
8、en Briefe? Das war fast genauso geheimnisvoll. Wer hatte Sofie aus dem Alltag gerissen und sie pltzlich mit den groen Rtseln des Universums konfrontiert? Zum dritten Mal ging Sofie zum Briefkasten. Erst jetzt hatte der Postbote die normale Post gebracht. Sofie fischte einen dicken Packen Werbung, Ze
9、itungen und zwei Briefe an ihre Mutter heraus. Es gab auch eine Postkarte -mit dem Bild eines sdlichen Strandes. Sie drehte die Karte um. Sie hatte norwegische Briefmarken und den Stempel UN-Regiment. Konnte die von ihrem Vater sein? Aber war der nicht ganz woanders? Und seine Handschrift war es auc
10、h nicht. Sofie sprte ihren Puls etwas schneller schlagen, als sie die Adresse auf der Karte las. Hilde M11er Knag, c/o Sofie Amundsen, Klverveien 3. Die brige Adresse stimmte. Auf der Karte stand: Liebe Hilde! Ich gratuliere Dir herzlich zum 15. Geburtstag. Du verstehst sicher, da ich Dir ein Gesche
11、nk machen mchte, an dem Du wachsen kannst. Verzeih, da ich die Karte an Sofie schicke. So war es am leichtesten. Liebe Gre, Papa Sofie lief zum Haus zurck und strzte in die Kche. Sie sprte, da ein Sturm in ihr tobte. Was war das nun wieder? Wer war diese Hilde, die einen guten Monat vor Sofies eigen
12、em 15. Geburtstag fnfzehn wurde? Sofie holte sich das Telefonbuch aus dem Flur. Viele darin hieen M11er, manche auch Knag. Aber im ganzen dicken Tele fonbuch hie kein Mensch M11er Knag. Wieder musterte sie die geheimnisvolle Karte. Doch, echt war die schon, mit Briefmarke und Stempel. Warum aber sch
13、ickte ein Vater eine Geburtstagskarte an Sofies Adresse, wenn sie doch ganz offenbar anderswohin gehrte? Welcher Vater wrde eine Postkarte auf Irrwege senden und damit seine Tochter um ihren Geburtstagsgru betrgen? Wieso konnte es so am leichtesten sein? Und vor allem: Wie sollte sie Hilde ausfindig
14、 machen? Auf diese Weise hatte Sofie noch ein Problem, ber das sie sich den Kopf zerbrechen konnte. Sie versuchte wieder, Ordnung in ihre Gedanken zu bringen. Im Laufe weniger Nachmittagsstunden war sie mit drei Rtseln konfrontiert worden. Das erste Rtsel war die Frage, wer die beiden weien Briefums
15、chlge in ihren Briefkasten gelegt hatte. Das zweite waren die schwierigen Fragen, die diese Briefe stellten. Das dritte Rtsel war, wer Hilde M11er Knag war und warum Sofie eine Geburtstagskarte fr dieses fremde Mdchen erhalten hatte. Sie war sich sicher, da diese drei Rtsel irgendwie zusam-menhngen
16、muten, denn bisher hatte sie ein ganz normales Leben gefhrt. 16 Der Zylinderhut . das einzige, was wir brauchen,um gute Philosophen zu werden, ist die Fhigkeit,uns zu wundern.Sofie ging davon aus, da der Schreiber der anonymen Briefe sich wieder melden wrde. Sie beschlo, vorerst niemandem von diesen
17、 Briefen zu erzhlen. In der Schule fiel es ihr schwer, sich auf das zu konzentrieren, was der Lehrer sagte. Sofie fand pltzlich, er rede nur von unwichtigen Dingen. Warum sprach er nicht lieber darber, was ein Mensch ist -oder was die Welt ist und wie sie entstehen konnte? Sie hatte ein Gefhl, das s
18、ie noch nie gehabt hatte: In der Schule und auch sonst berall beschftigten die Leute sich mit mehr oder minder zuflligen Dingen. Aber es gab doch groe und schwierige Fragen, deren Beantwortung wichtiger war als die blichen Schulfcher. Hatte irgendwer Antworten auf solche Fragen? Sofie fand es jedenf
19、alls wichtiger, darber nachzudenken, als starke Verben zu bffeln. Als es nach der letzten Stunde schellte, lief sie so schnell vom Schulhof, da Jorunn rennen mute, um sie einzuholen. Nach einer Weile fragte Jorunn: Wollen wir heute abend Karten spielen? Sofie zuckte mit den Schultern. Ich glaube, ic
20、h interessiere mich nicht mehr so sehr fr Kar-tenspiele. Jorunn sah aus wie aus allen Wolken gefallen. Nicht? Sollen wir dann lieber Federball spielen? Sofie starrte den Asphalt an - und dann ihre Freundin. Ich glaube, Federball interessiert mich auch nicht mehr so sehr. Na gut! Sofie hrte in Jorunn
21、s Stimme einen Hauch von Bitterkeit. Du kannst mir aber vielleicht erzhlen, was pltzlich soviel wichtiger geworden ist? Sofie schttelte den Kopf. Das . ist ein Geheimnis. Ph! Du bist bestimmt verliebt. Die beiden gingen lange zusammen weiter, ohne etwas zu sagen. Als sie den Fuballplatz erreicht hat
22、ten, sagte Jorunn: Ich gehe ber den Platz. ber den Platz. Das war der schnellste Weg zu Jorunn, aber sie ging ihn nur, wenn sie dringend nach Hause mute, weil Besuch kam oder weil sie einen Zahnarzttermin hatte. Sofie merkte, da es ihr leid tat, Jorunn verletzt zu haben. Aber was htte sie antworten
23、sollen? Da es sie pltzlich so sehr beschftigte, wer sie war und woher die Welt stammte, da sie keine Zeit zum Federballspielen hatte? Ob ihre Freundin das verstanden htte? Warum war es blo so schwer, sich mit der allerwichtigsten und irgendwie auch allernatrlichsten Frage zu befassen? Sie sprte ihr
24、Herz schneller schlagen, als sie den Briefkasten ffnete. Auf den ersten Blick sah sie nur Kontoauszge und einige groe gelbe Briefumschlge fr ihre Mutter. Doof, Sofie hatte so sehr auf einen neuen Brief des unbekannten Absenders gehofft. Als sie hinter sich das Tor schlo, entdeckte sie auf einem der
25、groen Umschlge ihren eigenen Namen. Auf der Rckseite, wo der Umschlag zugeklebt war, stand: Philosophiekurs. Mu mit groer Vorsicht behandelt werden. Sofie lief ber den Kiesweg und stellte ihre Schultasche auf die Treppe. Sie schob die brigen Briefe unter die Fumatte, rannte in den Garten hinter das
26、Haus und suchte Zuflucht in der Hhle. Der groe Brief mute dort geffnet werden. Sherekan kam ihr nachgerannt, aber dagegen konnte sie nichts machen. Sofie war sich aber sicher, da die Katze nichts ausplaudern wrde. Im Umschlag steckten drei groe, mit Maschine beschrie bene Bgen, die mit einer Broklam
27、mer zusammengeheftet waren. Sofie fing an zu lesen. Was ist Philosophie? Liebe Sofie! Viele Menschen haben unterschiedliche Hobbys. Manche sammeln alte Mnzen oder Briefmarken, andere handarbeiten gern, noch andere widmen fast all ihre Freizeit einer bestimmten Sportart. Viele lesen auch gern. Aber w
28、as wir lesen, ist sehr unterschiedlich. Einige lesen nur Zeitungen oder Comics, andere mgen Romane, noch andere ziehen Bcher ber verschiedene The-men wie Astronomie, Tierleben oder technische Erfindungen vor. Wenn ich mich fr Pferde oder Edelsteine interessiere, kann ich nicht verlangen, da alle and
29、eren diese Interessen teilen. Wenn ich wie gebannt vor allen Sportsendungen im Fernsehen sitze, mu ich mich damit abfinden knnen, da andere Sport de finden. Gibt es trotzdem etwas, das alle interessieren sollte? Gibt es etwas, das alle Menschen angeht -egal, wer sie sind oder wo auf der Welt sie woh
30、nen? Ja, liebe Sofie, es gibt Fragen, die alle Menschen beschftigen sollten. Und um solche Fragen geht es in diesem Kurs. Was ist das wichtigste im Leben? Wenn wir jemanden in einem Land mit Hungersnot fragen, dann lautet die Antwort: Essen. Wenn wir dieselbe Frage an einen Frierenden stellen, dann
31、ist die Antwort: Wrme. Und wenn wir einen Menschen fragen, der sich einsam und allein fhlt, dann lautet die Antwort sicher: Gemeinschaft mit anderen Menschen. Aber wenn alle diese Bedrfnisse befriedigt sind - gibt es dann immer noch etwas, das alle Menschen brauchen? Die Philosophen meinen ja. Sie m
32、einen, da der Mensch nicht vom Brot allein lebt. Alle Menschen mssen natrlich essen. Alle brauchen auch Liebe und Frsorge. Aber es gibt noch etwas, das alle Menschen brauchen. Wir haben das Bedrfnis, herauszufinden, wer wir sind und warum wir leben. Sich dafr zu interessieren, warum wir leben, ist a
33、lso kein ebenso zuflliges Interesse wie das am Briefmarkensammeln. Wer sich fr solche Fragen interessiert, beschftigt sich mit et-was, das die Menschen schon fast so lange diskutieren, wie wir auf diesem Planeten leben. Wie Weltraum, Erdball und das Leben hier entstanden sind, ist eine grere und wic
34、htigere Frage als die, wer bei den letzten Olympischen Spielen die meisten Goldmedaillen gewonnen hat. Die beste Herangehensweise an die Philosophie ist es, philosophische Fragen zu stellen: Wie wurde die Welt erschaffen? Liegt hinter dem, was geschieht, ein Wille oder ein Sinn? Gibt es ein Leben na
35、ch dem Tod? Wie sollen wir berhaupt die Antwort auf solche Fragen finden? Und vor allem: Wie sollten wir leben? Solche Fragen haben die Menschen zu allen Zeiten gestellt. Wir kennen keine Kultur, die sich nicht gefragt hat, wer die Menschen sind oder woher die Welt stammt. Im Grunde knnen wir gar ni
36、cht so viele verschiedene philosophische Fragen stellen. Wir haben bereits einige der wichtigsten gestellt. Aber die Geschichte zeigt uns viele unterschiedliche Antworten auf jede einzelne Frage, die wir gestellt haben. Es ist also leichter, philosophische Fragen zu stellen, als sie zu beantworten.
37、Auch heute mu jeder einzelne seine Antworten auf diese Fragen finden. Wir knnen nicht im Lexikon nachschlagen, ob es einen Gott oder ein Leben nach dem Tod gibt. Das Lexikon sagt uns auch nicht, wie wir leben sollen. Lesen, was andere Menschen gedacht haben, kann aber trotzdem eine Hilfe sein, wenn
38、20 wir uns unser eigenes Bild vom Leben und der Welt machen mssen. Die Jagd der Philosophen nach der Wahrheit lt sich vielleicht mit einer Kriminalgeschichte vergleichen. Manche halten Andersen fr den Mrder, andere Nielsen oder Jepsen. Einen wirklichen Kriminalfall kann die Polizei vielleicht pltzli
39、ch eines Tages klren. Es ist natrlich auch denkbar, da sie das Rtsel nie lsen kann. Trotzdem hat das Rtsel eine Lsung. Auch wenn es schwer ist, eine Frage zu beantworten, ist es also vorstellbar, da die Frage eine -und nur eine - richtige Ant-wort hat. Entweder gibt es eine Art Dasein nach dem Tod -
40、oder nicht. Viele alte Rtsel sind inzwischen von der Wissenschaft gelst worden. Einst war es ein groes Rtsel, wie wohl die Rckseite des Mondes aussieht. Man konnte die Lsung nicht durch Diskussion ermitteln, hier war die Antwort der Phantasie jedes einzelnen berlassen. Aber heute wissen wir genau, w
41、ie die Rckseite des Mondes aussieht. Wir knnen nicht lnger glauben, da im Mond ein Mann wohnt oder da der Mond aus Kse besteht. Einer der alten griechischen Philosophen, die vor ber zweitausend Jahren gelebt haben, glaubte, da die Philosophie durch die Verwunderung der Menschen entstanden sei. Der M
42、ensch findet es so seltsam zu leben, da die philosophischen Fragen ganz von selber entstehen, meinte er. Das ist so, als wenn wir bei einem Zaubertrick zusehen: Wir knnen nicht begreifen, wie das, was wir sehen, mglich ist. Und dann fragen wir danach: Wie konnte der Zauberknstler zwei weie Seidensch
43、als in ein lebendiges Kaninchen verwandeln? Vielen Menschen kommt die Welt genauso unfabar vor wie das Kaninchen, das ein Zauberknstler pltzlich aus einem eben noch leeren Zylinderhut zieht. Was das Kaninchen betrifft, so ist uns klar, da der Zauber21 knstler uns an der Nase herumgefhrt hat. Wenn wi
44、r ber die Welt reden, liegen die Dinge etwas anders. Wir wissen, da die Welt nicht Lug und Trug ist, denn wir laufen auf der Erde herum und sind ein Teil der Welt. Im Grunde sind wir das weie Kaninchen, das aus dem Zylinder gezogen wird. Der Unterschied zwischen uns und dem weien Kaninchen ist nur,
45、da das Kaninchen nicht wei, da es an einem Zaubertrick mitwirkt. Mit uns ist das anders. Wir glauben, an etwas Rtselhaftem beteiligt zu sein, und wrden gerne klarstellen, wie alles zusammenhngt. PS. Was das weie Kaninchen betrifft, so ist es vielleicht besser, es mit dem gesamten Universum zu vergle
46、ichen. Wir, die wir hier wohnen, sind das wimmelnde Gewrm tief unten im Kaninchenfell. Aber die Philosophen versuchen, an den dnnen Haaren nach oben zu klettern, um dem groen Zauberknstler voll in die Augen blicken zu knnen. Bist Du noch da, Sofie? Fortsetzung folgt. Sofie war ganz schwach. Ob sie n
47、och da war? Sie wute nicht einmal, ob sie beim Lesen berhaupt Atem geholt hatte. Wer hatte den Brief gebracht? Wer, wer? Es konnte unmglich derselbe sein, der Hilde Mller Knag die Geburtstagskarte geschickt hatte, denn die hatte Briefmarke und Stempel gehabt. Der gelbe Briefumschlag aber war gleich
48、in den Briefkasten gelegt worden, genau wie vorher die beiden weien. Sofie sah auf die Uhr. Es war erst Viertel vor drei. Erst in zwei Stunden wrde ihre Mutter von der Arbeit kommen. Sofie lief wieder in den Garten und zum Briefkasten. Ob da wohl noch mehr liegen konnte? Sie fand einen weiteren gelb
49、en Briefumschlag, auf dem ihr Name stand. Sie sah sich um, konnte aber niemanden entdekken. Sofie rannte zum Waldrand und hielt auf dem Weg Aus22 schau. Aber auch dort fand sie keine Menschenseele. Pltzlich glaubte sie, tiefer im Wald Zweige knacken zu hren. Sie war sich aber nicht ganz sicher, und es htte ja doch keinen Zweck gehabt,